ÖGUT-Umweltpreis 2024

Nominiert in der Kategorie Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement, Bottom-up

Nachbarschaftsrat Sonnwendviertel (Verein zur Förderung sozialer Nachhaltigkeit und Partizipation)

Der soziokratische Nachbarschaftsrat Sonnwendviertel zeigt, wie sich Menschen in ihrem direkten Lebensumfeld selbst organisieren und wirksam für eine sozial und ökologisch nachhaltige Quartiersentwicklung einsetzen können. Er ist eine unabhängige Bottom-up-Beteiligungsstruktur in jährlichen Durchgängen für alle Menschen, denen das Quartier wichtig ist, die dort leben oder arbeiten - unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion, sozialer Schicht und Staatsangehörigkeit. Dazu betreibt der Verein eine Onlineplattform, organisiert Nachbarschaftsforen und begleitet den Nachbarschaftsrat.

Die übergeordneten Zielsetzungen geben dem Nachbarschaftsrat eine gemeinsame Orientierung. Dazu zählen etwa das Erschaffen sicherer Räume für den Austausch von Meinungen und Ideen, die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement und die Entwicklung lebendiger, lokaler Gemeinschaften, die konstruktive Zusammenarbeit mit lokalen Politikern und Verwaltung, um das Vertrauen in Institutionen zu verbessern, und das Ermöglichen, politische Handlungsfähigkeit zu erlernen und praktizieren.

Wie es zum Nachbarschaftsrat Sonnwendviertel kam

Nachdem im November 2023 das Projekt „Nachbarschaftsrat – nachhaltige Mobilität im Sonnwendviertel" zu Ende war, hat sich in Folge die nachbarschaftlich getragene Beteiligungsstruktur im Quartier entwickelt, die sich auch weiter um Mobilitätsthemen kümmern kann.

Der Durchgang 2024 wurde daher rein ehrenamtlich durch das „Prozessteam Nachbarschaftsrat" des Vereins durchgeführt. Damit weitere Durchgänge möglich werden, braucht es allerdings etwas Finanzierung. Die Mitwirkung im Nachbarschaftsrat durch Bewohner:innen ist ebenfalls ehrenamtlich. Das Soziokratie Zentrum und diverse Quartiershäuser stellen gelegentlich Räume und andere Infrastruktur kostenlos bereit.

Wie der soziokratische Nachbarschaftsrat funktioniert

Für ein gutes, konstruktives Miteinander der Bürger:innen im Nachbarschaftsrat gibt es Prämissen, wie etwa die klaren Spielregeln und das Commitment zu einem transparenten Prozess. Aber auch, dass die Versammlungen ergebnisoffen gehalten werden, dass die Hürden zur Teilnahme so niedrig wie möglich sind und dass möglichst alle Stimmen und Perspektiven berücksichtigt werden.

So ist es möglich, geeignete Lösungen im Sinne möglichst aller Bewohner:innen zu finden.

Der Ablaufplan eines Projekts

Zu Beginn entwickelt das Prozessteam den Beteiligungsprozess inklusive der Teilnahmebedingungen und kümmert sich um die Kommunikation. Dazu gehört die Online-Info (Partizipationsplattform, Facebook-Gruppe, Newsletter) genauso, wie die Bewerbung im Quartier (Plakate und Flyer, Aktionen im Öffentlichen Raum, persönliche Grätzlgespräche).

Weiter geht es mit der Themensammlung, die sowohl online als auch im direkten Gespräch stattfinden kann. Nachdem die Top-Ideen per Onlinevoting priorisiert wurden, werden diese bei einem offenen Nachbarschaftsforum besprochen – zuständige Personen werden anschließend in den Nachbarschaftsrat gewählt. Dieser trifft sich etwa vier Mal im Abstand von jeweils 1-2 Monaten, um an den Top-Ideen zu arbeiten. Alle Entscheidungen werden im Konsent getroffen. Im Nachbarschaftsrat werden soziokratische Prinzipien zur Selbstorganisation und Mitbestimmung etabliert. Wie:

  • Jedes Thema, jede Idee hat eine:n Hüter:in, die auch zwischen den Treffen des Nachbarschaftsrats am Fortschritt in der Sache arbeitet.
  • Das Prozessteam unterstützt die Gruppen beim Netzwerken und in der Kommunikation mit anderen Akteur:innen, bereitet Sitzungen vor, moderiert diese Sitzungen und dokumentiert die Ergebnisse.
  • Es finden Treffen von Vertreter:innen des Nachbarschaftsrats mit der Bezirkspolitik und Verwaltung statt.
  • Die Ergebnisse werden offen kommuniziert.

Anschließend wird der nächste Durchgang von Prozessteam mit Unterstützung der Nachbarschaftsmitglieder vorbereitet.

Geplante Folgeaktivitäten

Der aktuelle Nachbarschaftsrat und deren Mitglieder haben sich bereits dafür ausgesprochen 2025 einen neuen Durchgang zu starten und weiter zu unterstützen. Die Erfahrungen des diesjährigen Durchgangs sollen in die Weiterentwicklung einfließen. Der Verein möchte darüber hinaus zusammen mit dem Soziokratie Zentrum und anderen Partnern ein Forschungsprojekt zur Weiterentwicklung des Modells „Soziokratischer Nachbarschaftsrat" mit Wirkmessung, Theoriebildung und Skalierungsoptionen starten.

In Wien haben sowohl mehrere Agenda21-Büros als auch Gebietsbetreuungen Interesse an dem Modell geäußert und weitere Kooperation zugesagt. Außerdem gibt es bereits Anfragen von Forschungseinrichtungen und Quartiersentwickler:innen, um einen Nachbarschaftsrat nach selbem Modell auch im ländlichen Raum umzusetzen.

Das hat die Jury überzeugt

Der Nachbarschaftsrat Sonnwendviertel überzeugte die Jury durch seine Anwendung der Soziokratie als innovativen Verhandlungs- und Selbstorganisationsansatz, der eine Weiterentwicklung demokratischer Prozesse darstellt. Die hohe Transferwirkung, insbesondere auch in ländlichen Regionen, wurde ebenfalls als positiv bewertet.

Weitere Infos

Monika Auer (ÖGUT-Generalsekretärin), Florian Bauernfeind (Verein zur Förderung von sozialer Nachhaltigkeit und Partizipation), Orsolya Lelkes (Verein zur Förderung von sozialer Nachhaltigkeit und Partizipation), Andrea Reithmayer (ÖGUT-Präsidentin), Christian Holzer (Leiter der Sektion „Umwelt und Kreislaufwirtschaft“, BMK). © Katharina Schiffl