ÖGUT-Umweltpreis 2024

Nominiert in der Kategorie Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement, Bottom-up

und Gewinner des Publikumspreises: Erstmals wählte das anwesende Publikum aus allen Nominierten, die keinen Preis gewonnen haben, mittels Mentimeter-Votings ihren Favoriten. Gewonnen hat das Projekt

KLEINSTADTBIOTOP Vöcklabruck (Verein Kleinstadtbiotop Vöcklabruck)

Das historische Stadtzentrum in Vöcklabruck kämpft mit mangelnder Frequenz an Besucher:innen und Abwanderung an den Stadtrand. Einkaufszentren, fehlender Branchenmix und Onlinehandel setzen der Innenstadt zu. Mit der Revitalisierung eines alten Gebäudes und der Errichtung eines nachhaltigen Wirtschaftsstandortes mitten am Stadtplatz Vöcklabruck wirkt das KLEINSTADTBIOTOP dieser Entwicklung entgegen und leistet in vielen Bereichen Pionierarbeit, die Gemeinden und Unternehmen zum Nachmachen anregen soll.

Marktplatz im Kleinstadtbiotop

Seit Oktober 2023 sind in einem alten Gebäude in der Vöcklabrucker Innenstadt 1300 m2 Gewerbefläche mit zehn Geschäften, zwei Restaurants, Kinder- und Kursflächen sowie drei sozialen Einrichtungen gefüllt. Das Entwicklungsprojekt zeichnet sich durch eine multifunktionale Flächennutzung, ein nachhaltiges Sortiment und Angebot, ein solidarisches Wirtschaftskonzept, einen inklusiven Beschäftigungsansatz und konsumfreien Begegnungszonen aus. Insgesamt arbeiten im KLEINSTADTBIOTOP 80 Personen zusammen, davon neun Menschen mit körperlichen und intellektuellen Beeinträchtigungen. Rund 190 Menschen besuchen täglich das KLEINSTADTBIOTOP und somit auch die Innenstadt von Vöcklabruck.

Das KLEINSTADTBIOTOP ist bereits ein Vorzeigemodell und wird regelmäßig von interessierten Delegationen aus dem Bereich Regionalentwicklung, Baukultur und Inklusion besichtigt.

Wie es zum KLEINSTADTBIOTOP kam

Entwickelt wurde das Projekt in einem lokalen Agenda 21 Prozess der Stadt Vöcklabruck gemeinsam mit engagierten Gastronom:innen, Unternehmer:innen, regionalen Produzent:innen und interessierten Bürger:innen aus und rund um Vöcklabruck. Getragen wurde die Initiative unternehmensseitig vom Wunsch nach mehr gelebter Kooperation und betrieblicher Zusammenarbeit. Die Bürger:innen und die Stadt Vöcklabruck wiederum streben die Belebung des Stadtzentrums und innovative, urban geprägte Dienstleistungen in der Kleinstadt Vöcklabruck an.

Mittels Bürger:innenbeteiligung wurde ein Konzept zur Bewirtschaftung einer gemeinsamen Geschäftsfläche entwickelt. Dazu fanden ab Juni 2021 eine Reihe von öffentlichen Workshops statt in denen neben den Interessen der involvierten Unternehmer:innen auch die Bedarfe und Wünsche von Bürger:innen abgeholt wurden, wie etwa der Wunsch nach der Kombination Gastronomie/Kinderbetreuung, aber auch eine Markthalle mit regionalen Produkten oder eine Produktionsküche für regionale Produzenten. Im Herbst 2022 wurde schließlich mit Hilfe von Investoren eine 1300 m2 große (zum Großteil leerstehende) Geschäftsfläche am Stadtplatz Vöcklabruck gefunden.

Gemeinsam mit den im Objekt bereits befindlichen Mieter:innen, einer Reihe von interessierten neuen Mieter:innen und Bürger:innen und in Abstimmung mit den Anrainer:innen wurde über ein Jahr an einer Nutzungsstudie gearbeitet. Diese stellte die Basis für die relevanten baurechtlichen und gewerberechtlichen Einreichungen dar.

Markthalle im Kleinstadtbiotop

Das innovative Nutzungskonzept wurde Realität

Das umfangreiche Nutzungskonzept wurde partizipativ erarbeitet und umfasst folgende Bausteine, die mittlerweile alle in die Realität umgesetzt wurden:

  • Nachhaltigkeit steht über dem Wirken im KLEINSTADTBIOTOP. Der Verein befasst sich intensiv mit diesem Thema und hat das Dokument „Nachhaltigkeit im KLEINSTADTBIOTOP – ausgerichtet an den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen" verfasst.
  • Solidarischer Wirtschaftsstandort: In der Markthalle arbeiten neun Unternehmen zusammen und bieten einen bunten Mix aus regionalen und hochwertigen Produkten. Dieses solidarische Modell bietet lange Öffnungszeiten, geteilte Kosten und nur einen Wochentag Markthallendienst pro Unternehmen. Zwei hochwertige Gastronomien sorgen für Vielfalt und Genuss.
  • Zentrum für Soziales: Verschiedene Anlaufstellen und Büros der CARITAS betonen den sozialen Aspekt. Für die Nachhilfe sitzen die Schüler:innen des CARITAS Lerncafés in HELI's Restaurant, so wird diese Fläche zwischen Mittags- und Abendbetrieb genutzt. Beschäftigte der Lebenshilfe bereiten die „gesunde Jause" für die Kinder des Lerncafés zu. AMNESTY YOUTH hat einen dauerhaften Infostand und einen Bücherflohmarkt im Haus, um das Bewusstsein für Menschenrechte zu schärfen.
  • Gelebte Inklusion mitten in der Gesellschaft: Am Service Desk im Foyer sind Beschäftigte der Lebenshilfe erster sichtbarer Ansprechpartner für Besucher:innen, bieten verschiedene Dienstleistungen an und übernehmen Verwaltungstätigkeiten für das KLEINSTADTBIOTOP. Dieser sichtbare Ort der Inklusion zeigt, was „mittendrin im gesellschaftlichen Leben" bedeutet.
  • Ein dritter Ort in der Innenstadt: Menschen brauchen zentrale Orte der Begegnung! Der gemütliche und barrierefreie Marktplatz ist sowohl Begegnungszone, konsumfreier Sitzbereich als auch kulinarische Selbstbedienungszone.
  • Platz für Kinder und Familien: Die 130 m2 große Kinderfläche „Kinderranch" bietet Platz für Spiel, Bewegung und Kinderveranstaltungen. Sie lässt sich für Green Event-Kindergeburtstagsfeiern mieten und ist ausschließlich mit upgecycelten Mobiliar ausgestattet. In den Sommerferien bietet das KLEINSTADTBIOTOP für zwei Wochen eine günstige solidarische Ferienbetreuung an.
  • Kurse und Workshops: Im Atelier finden regelmäßige Malkurse statt, während die Kinderranch zum Studio wird und für Kurse rund um Fitness, Gesundheit und Bewegung gemietet werden kann.
  • Galerie für regionale Künstler:innen: Im Grafikgeschäft „Grafitti" und am Marktplatz stellen verschiedene, regionale Künstler:innen ihre Werke aus.
  • Plattform für Kooperationen: Bürger:innen, Unternehmen und Initiativen sind weiterhin eingeladen, ihre Ideen und Projekte einzubringen und umzusetzen. Das KLEINSTADTBIOTOP bietet außerdem Führungen und Informationen für interessierte Gruppen und Gemeinden an und versteht sich auch als Zentrum für neue Kooperationsformen. Anfragen kommen bereits aus ganz Österreich.

Die vielfältigen Aktivitäten werden vom Verein KLEINSTADTBIOTOP koordiniert und getragen. Der Verein kümmert sich auch um gemeinsames Marketing und bespielt die Allgemeinflächen im KLEINSTADTBIOTOP mit diversen Veranstaltungen, wie das monatliche Kinderfrühstück oder Märkte. Der Verein hat aktuell 60 Mitglieder, davon 40 Familienmitgliedschaften.

Ausblick

Ende Mai 2024 fand eine Klausur mit dem Stadtmarketing, dem Tourismusbüro und dem Wirtschaftsausschuss statt, um weitere Maßnahmen zur Innenstadtbelebung zu erarbeiten. Im Laufe der Aufbauphase haben sich insbesondere die Themenbereiche BEGEGNUNG, INKLUSION, NACHHALTIGKEIT und FAMILIEN herauskristallisiert und wurden auch in dem Dokument „KLEINSTADTBIOTOP – ausgerichtet an den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen" festgehalten.

Das hat die Jury überzeugt

Besonders die Schaffung konsumfreier Räume und der offene Zugang für alle, die einen inklusiven Begegnungsraum ermöglichen und vielfältige Akteure einbinden, hat die Jury überzeugt. Auch der starke Bezug zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) und die erfolgreiche Verknüpfung von Theorie und Praxis wurden als positiv bewertet.

Weitere Infos

Monika Auer (ÖGUT-Generalsekretärin), Katrin Petrovic (Verein Kleinstadtbiotop Vöcklabruck), Eva De Michele (Verein Kleinstadtbiotop Vöcklabruck), Petra Wimmer (Verein Kleinstadtbiotop Vöcklabruck). © Katharina Schiffl