ÖGUT-Umweltpreis 2024
Nominiert in der Kategorie "Klimaneutrale Stadt"
Campo Breitenlee (Treberspurg & Partner Architekten)
Um Klimaneutralität auf EU-/Bundesebene zu erreichen, ist es notwendig, Gebäude in urbanen Gebieten als Teil von Energie-Quartierslösungen zu planen und zu optimieren. Damit können erneuerbare Energiesysteme effizienter in urbane Strukturen und übergeordnete Energienetze eingebunden und Speicherpotenziale durch unterschiedliche Nutzungen und Lastverschiebungen ausgeschöpft werden.
Der CAMPO Breitenlee ist eine 2024 realisierte Quartiersentwicklung, die aus einem gewonnenen Bauträgerwettbewerb für sozialen Wohnbau hervorging und durch ein Forschungsprojekt der FFG begleitet wird. Das Energiekonzept des CAMPO Breitenlee setzt zu 100 Prozent auf erneuerbare Energie. Zahlreiche gemeinschaftsbildende Einrichtungen sowie die partizipative Vergabe aller 324 Wohnungen zeigen Lösungen für die aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft.
Zwischen Stadt und Land
Das Projekt setzt hohe Maßstäbe an Architektur und Städtebau und versteht sich als Lückenfüller und Übergang zwischen Stadt und Land. Durch die lockere und kleinteilige Bebauung werden klimatische Vorteile wie eine gute West-Ost Durchlüftung, gute Belichtung, aber auch ausreichende Beschattung genutzt. Der dazwischen liegende Freiraum gliedert sich in Plätze und Grünflächen. Durch eine Verdichtung an den Rändern wird ein inneres Bezugssystem für die Bewohner:innen geschaffen. Das vielfältige Angebot in den Erdgeschoßzonen öffnet das Quartier zur Nachbarschaft.
Rückblick
Der CAMPO Breitenlee ist das Scale Up eines seit 2019 bestehenden Forschungsfeldes zum Einsatz von Wetterdaten zur automatisierten „prädiktiven Steuerung" von Heizungs- und Lüftungssystemen in Gebäuden. Ein eigens dafür programmierter Algorithmus reduziert unter Berücksichtigung von Wetterprognosedaten die Energie für Heizen, Kühlen und Warmwasser und erhöht die Behaglichkeit im Wohnraum. In zwei weiteren Forschungsprojekten wurde die Bauteilaktivierung mit prädiktiver Steuerung als Scale Up weiterentwickelt und dokumentiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Steuerung bei ergänzten Parametern zur Entlastung des Energienetzes (Einspeisung v. Überschussstrom), der Reduktion der Stromkosten für die Nutzer:innen (Aufladen der Bauteilaktivierung bei günstigen Strompreisen) und der Schaffung von Plus-Energie-Quartiere dienlich ist.
Ziel war es also, mit dem CAMPO Breitenlee das erste Plus-Energie-Quartier im sozialen Wohnbau umzusetzen. Planerisch und baulich wurden sämtliche Grundlagen geschaffen. Es wurden detaillierte Analysen zu den rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen durchgeführt. Letztlich wurde die volle für den Plus-Energie-Quartier-Standard nötige Photovoltaik-Fläche aus wirtschaftlichen Gründen vorerst nur zur Hälfte umgesetzt. Diese kann aber in einem nächsten Schritt nachgerüstet werden.
Ausblick
Plus-Energie-Quartiere mit Bauteilaktivierung und wetterbasierter prädiktiver Steuerung können ein im Zeitverlauf variierendes Energieangebot, den CO2-Fußabdruck der Energie (Strom aus Wind oder PV gegenüber Netzbezug) oder variierende Strompreise berücksichtigen. Sie können zur Entlastung der Netze beitragen, regionale Energie erzeugen und Überschüsse aufnehmen. Dies entlastet die Netzinfrastruktur wesentlich und könnte einen relevanten Baustein für die zukünftige CO2-neutrale Energielandschaft in Österreich darstellen. Wesentlich ist, dass dieses Konzept einen Mehrwert für alle Beteiligten – von den Bewohner:innen bis zu den Energiebetreibern – bringen kann.
Nachhaltigkeit
Der Campo Breitenlee wird großflächig mit Bauteilaktivierung geheizt und gekühlt. Dies führt zu hoher Ressourcen- und Energieeffizienz über den Lebenszyklus.
Im Bürobau wird die Bauteilaktivierung schon lange angewendet und ist gut erprobt. Sie ist auch die Zukunft im Wohnbau, weil durch Low-Tech-Maßnahmen eine Vielzahl von Vorteilen geschaffen werden. So führen etwa geringe Vorlauftemperaturen durch die Bauteilaktivierung in Kombination mit Wärmepumpen und Tiefenbohrungen für Erdwärmenutzung oder Grundwasserwärmenutzung zu minimalem Energieverbrauch. Heizen und auch Kühlen - als die Herausforderung der Zukunft im Bauen - ist somit mit 100 Prozent erneuerbarer Energie möglich.
Beim „Free-Cooling" über Sondenspeicher ist nur die Energie zum Betrieb der Pumpen nötig, um damit Gebäude im Sommer angenehm zu temperieren. Außerdem können diese Gebäude als Energiespeicher genutzt und zu wichtigen Bausteinen in Smart City Konzepten werden. Das ermöglicht Lastverschiebungen zwischen Bauwerken und die optimale Ausnutzung von Energie bei maximalem Wohnkomfort.
Soziale Nachhaltigkeit
Das Projekt bezieht sich bewusst auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich durch die Coronakrise beschleunigt haben. Alternative Wohnformen wie Wohnverbund+, Ich-Du-Wir, die partizipative Wohnungsvergabe, Angebote für Alleinerziehende und die Housing-First-Wohnungen sind in einer Mischung vorhanden. Dies ermöglicht es, Wohnräume für wechselnde Bedürfnisse zu schaffen:
- Die „PodKantine" mit einem großen Multifunktionsraum nahe dem Kindergarten stärkt die Zentralität und ermöglicht vielfältige Nutzungen.
- Der konsumfreie Gemeinschaftsraum dient auch für Beratungsleistungen durch neunerimmo / neunerhaus und JUNO.
- Eine Garten- und Fahrradwerkstatt bietet Raum für DIY-begeisterte Bewohner:innen aller Altersgruppen.
- Jedes Haus verfügt über eine gut ausgestattete Waschküche als weiteren Treffpunkt außerhalb der eigenen Wohnung.
- Den Gemeinschaftsräumen und Waschküchen der Schmetterlings-Gebäude sind in unmittelbarer Nähe Spielangebote für Kinder zugeordnet.
- Zur Unterstützung und Schaffung kleinräumiger Nachbarschaftsnetzwerke werden im direkten Wohnumfeld Begegnungs- und Aufenthaltszonen angeboten.
- Ein Mobility Point bietet partizipativ entwickelte Mobilitätsangebote (z.B. „community-based" E-Carsharing).
Der Campo Breitenlee bietet weitreichende Nachhaltigkeit durch die Kombination von Ökonomie, Ökologie, Architektur und sozialer Nachhaltigkeit.
Das hat die Jury überzeugt
Die Jury betont, dass der CAMPO Breitenlee nicht nur durch seine ökologische Ausrichtung überzeugt, sondern auch durch seinen sozialen Ansatz. Die unterschiedlichen Wohnformen und die partizipative Vergabe aller Wohnungen führen zu einer sozialen Durchmischung im Quartier und schaffen ein lebendiges, integratives Wohnumfeld, das auf die vielfältigen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner eingeht.
Projektkonsortium
- Bauträger: ÖVW|Wiener Heim
- Architekten: Treberspurg & Partner Architekten, synn architekten
- Landschaftsplanung: Carla Lo
- Sozialkonzept: wohnbund:consult
- Kooperationspartner: Juno, neunerImmo
- Ökologische Beratung: bauXund
- ZQ3-Konsortium: Forschung:P1: Universität für Bodenkultur Wien (Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung & Institut für Verfahrens- und Energietechnik) P2: Fachhochschule Technikum Wien P3: Institute of Building Research & Innovation ZT GmbH Bauträger: P4: Wiener Heim Wohnbaugesellschaft mbH P5: SÜBA Bau und Projekterrichtungs GmbH Architekten: P6: synn architekten ZT-OG P7: Architekten Soyka/Silber/Soyka ZT GmbH P8: Treberspurg & Partner Architekten ZT GmbH Fachplanung: P9: Böhm Stadtbaumeister & Gebäudetechnik GmbH P10: Dr. Ronald Mischek ZT GmbH P11: hacon GmbH Rechtlich-ökonomische Expertise: P12: NÖ Energie- und Umweltagentur GmbH P13: IIBW Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH